7. Forum Tiere und Geschichte

Organisatoren
Nadir Weber / Aline Steinbrecher / Clemens Wischermann, Universität Konstanz
Ort
Konstanz
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.07.2017 - 21.07.2017
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Von
Jacqueline Berl / Anna Kradolfer, Universität Konstanz

Wie haben Tiere die Geschichte der Menschheit beeinflusst? Wo fand eine „Ko-Evolution“ statt? Und wie wurde der Unterschied zwischen Mensch und Tier in verschiedenen Epochen definiert? WissenschaftlerInnen verschiedener Disziplinen versammelten sich in Konstanz zum 7. Jahrestreffen des Forums Tiere und Geschichte, um über die Themen Temporalität und Periodisierung, Interspezifische Kommunikation sowie Co-Evolution zu diskutieren. Das Forum eröffnete GIOVANNI GALZIA (Konstanz), Biologe und Direktor des Konstanzer Zukunftskollegs, mit einer kurzen Ansprache über die von ihm betriebene Bienenforschung.

CLEMENS WISCHERMANN (Konstanz) widmete sich in seinem Input der Frage, was es für Historiker bedeute, Tiere in Zeitkonzepte einzubeziehen. Dabei stellte er drei verschiedene, sich teilweise aber überlagernde Temporalitäts- und Epochenansätze vor. Nach Éric Baratays Drei-Phasen-Modell folgte auf eine „traditionelle Epoche“ der Mensch-Tier-Beziehungen eine vom späten 18. Jahrhundert bis etwa 1950 dauernde Phase intensivierter Tierhaltung, in der sich Kriegs-, Arbeits-, Schlacht- und Haustiere ausdifferenzierten. Die Phase seit 1950 sei gezeichnet von einem zunehmenden Verschwinden von Nutztieren respektive deren Abschiebung in anonyme Räume der Massentierhaltung. Mieke Roscher und Aline Steinbrecher schlagen demgegenüber dieser Sichtweise in einem noch unpublizierten Aufsatz vor, bei der Periodisierung die – je nach Art und Population unterschiedlichen – „tierlichen Eigenzeiten“ mit zu berücksichtigen, was zu einer Auflösung oder zumindest erheblichen Diversifizierung von Zeiteinteilungen führen könnte. Im finnischen Ausstellungsprojekt „History according to cattle“ von Laura Gustafsson und Terike Haapoja wird die Geschichte der Rinder schließlich in eine vor-historische Periode, eine Periode der Ko-Existenz in Form von Domestikation und eine mit dem Zeitalter der Massentierhaltung beginnende a-historische Periode eingeteilt, in der die Rinder als anonymisierte Nutztiere den Bezug zu ihrer Umwelt und ihre individuelle Biographie eingebüßt hätten.

Im folgenden Input-Vortrag referierte die Archäologin VALESKA BECKER (Münster) über die Rolle der Tiere in der Ur- und Frühgeschichte. Sie exemplifizierte ihre Ausführungen insbesondere am Beispiel der Beziehungsgeschichte von Menschen und Rindern, die sich gegenüber dem schematischen Modell des „History according to cattle“-Projekts vielschichtiger darstelle. In der Altsteinzeit, ab 40.000 v. Chr., wurden Bilder von Tieren an Höhlenwände gemalt, was auf deren Bedeutung als Nahrungsmittel, aber auch Gefahrenquellen verweise. Dabei ließen sich Ansätze von Bewegungs- und Altersstudien der Tiere feststellen, mithin also der Versuch, Beobachtungswissen über andere Arten festzuhalten. Mit der einsetzenden Domestikation von bestimmten Tieren um etwa 10.000 v. Chr. habe sich das Verhältnis verändert. Der Prozess habe sich aber auch unmittelbar im Körperbau der Tiere niedergeschlagen: Der Schädel und damit das Gehirn verkleinerte sich, während sich die Fruchtbarkeit erhöhte; zugleich veränderte sich auch das Verhalten. Ungebrochen war dabei die symbolische Bedeutung von Tieren; im Vorderen Orient wurden nicht die Zuchttiere, sondern die wilden Rinder verehrt. Mit den sich verändernden Haltungszwecken der nun auch als Zugtiere verwendeten Rinder veränderte sich der Körperbau weiter – was letztlich auch die Frage aufwerfe, ob über all die Veränderungen hinweg überhaupt noch von der Geschichte ein- und derselben Tierart gesprochen werden könne.

Im Anschluss wurde kontrovers über den heuristischen Nutzen der verschiedenen Periodisierungskonzepte diskutiert – respektive darüber, ob diese auch den Blick auf Phänomene verstellen könnten. Die Postulierung einer langen Phase „traditioneller“ Mensch-Tier-Beziehungen in Abgrenzung zur modernen Massentierhaltung könne etwa zu einer letztlich wenig tragfähigen „Romantisierung“ des Lebens der Tiere in der Vormoderne führen. Auch die Grundsatzfragen, wie Tiergeschichte zu schreiben sei und welche Untersuchungseinheiten man dieser Geschichte jeweils zugrunde legen solle (Tiere insgesamt, einzelne Arten, Populationen oder gar Individuen), wurden aufs Neue aufgeworfen. Starkgemacht wurde der Ansatz, statt einer Geschichte der Tiere eine der Mensch-Tier-Beziehungen zu schreiben – was aber wiederum nicht bedeute, dass Tiere nicht auch ohne menschlichen Einfluss ihre Geschichte hätten. Gerade bei diesem Punkt wurde angemahnt, eine stärkere Zusammenarbeit mit Naturwissenschaftlern (beispielsweise Zoologie, Ethologie und Tiermedizin) zu suchen, um den artenspezifischen Verhaltensweisen besser gerecht zu werden. Demgegenüber könnten aber auch Erkenntnisse, die aus historischen (Schrift-)Quellen gewonnen worden sind, für diese Disziplinen interessant sein.

Die Sektion der Interspezifischen Kommunikation befasste sich mit der Frage nach den Modalitäten artenübergreifender (interspezifischer) Verständigung und damit, wie diese historisch fassbar gemacht werden könnten. NADIR WEBER (Konstanz) stellte in seinem Input verschiedene Konzepte vor, die sich aus linguistischer und auch ethnologischer Perspektive mit Vorgängen des Signalaustauschs innerhalb von Arten und über Artengrenzen hinweg auseinandersetzen, etwa die von Thomas Sebeok entwickelte Zoosemiotik. Die Betonung von verschiedenen Formen der nonverbalen Kommunikation entspreche dabei auch neueren Trends innerhalb der Geschichtswissenschaft, womit etwa an Fragestellungen und Konzepte der Körper- oder Sinnesgeschichte Anschluss gesucht werden könnte. Durch die Überlieferungssituation seien einer Rekonstruktion von solchen artenübergreifenden Interaktionen zwar Grenzen gesetzt; einer Problematisierung der Frage, ob und wie mit Tieren kommuniziert werden könne, begegne man aber schon früh. So gaben etwa frühneuzeitliche Traktate zur Reitkunst, Jagd und Falkenabrichtung jeweils detailliert vor, welche taktilen, akustischen oder visuellen Signale für die Herbeiführung und Wiederholung des gewünschten Verhaltens erfolgsversprechend seien, und gingen dabei zumindest implizit auch auf artenspezifische Wahrnehmungsmuster ein.

Im Anschluss daran stellte die Klangforscherin PATRICIA JÄGGI (Luzern) ihr aktuelles Forschungsprojekt zur menschlichen Wahrnehmung von Tierstimmen vor. Dabei betonte Jäggi, dass die sinnliche Wahrnehmung des Menschen stark von der Kultur, in der er lebt, beeinflusst werde. Die mentale Leistung des kulturalisierten Gehirns ließe uns Wahrnehmung mit Bedeutung verbinden und so Dinge erkennen. Auch die Hörtraditionen von Tierstimmen seien entsprechend einem steten Wandel unterworfen. Kulturelle Ordnungsvorstellungen wie beispielsweise die Kategorien der „Sprache“ und „Musik“ würden dabei auf tierliche Laute übertragen. Die Codes einer sich wandelnden Kultur bestimmten, wie Menschen die Laute von Tieren deuteten. Als Beispiel zeigte Jäggi Auszüge der Schallplatte „Animal Language“ in der zweiten Auflage von 1964. Die szenisch aneinandergereihten Tierlaute waren von Ludwig Koch in den 1930er-Jahren im Londoner Zoo aufgenommen worden und wurden vom Ethologen Julian Huxley mit Zwischenkommentaren sowie in einem Begleitband interpretiert. Trotz des Bemühens, tierliche Laute als „Sprache“ und nicht bloß als Lautäußerungen zu interpretieren, wurden dabei auch soziale Klischees jener Zeit auf die Verhaltensweisen der Tiere projiziert. Hier war vom wütenden Wolf, dem männlichen „Führer“ des Rudels die Rede, dort von dem aufmerksamkeitsbedürftigen Weibchen, das vom Männchen bemerkt werden wolle. Diese stark emotionalisierenden, an menschliche Verhaltensweisen angelehnten Deutungen hatten dabei nicht zuletzt den Zweck für den Hörer, verständlich und unterhaltsam zu wirken.

Bei der anschließenden Diskussion wurde ausgehend von diesem Fallbeispiel unter anderem über die Aufnahmesituation, die hinter diesen Tondokumenten stand, diskutiert und darüber, welche Rückschlüsse sich aus den Tonaufnahmen auf den spezifischen Interaktionskontext des Londoner Zoos ziehen ließen. Dabei gelte es nach Möglichkeit, die wechselseitigen Beeinflussungen des Verhaltens von Menschen und Tieren zu berücksichtigen. Auch wurde die Frage aufgeworfen, ob die teilweise stark am Modell der damals aufkommenden Computer orientierten Konzepte der Semiotik sinnvoll auf artenübergreifende Interaktionen übertragbar seien, respektive wie solche zeitgebundenen Kommunikationsmodelle wiederum die Wahrnehmung tierlicher Kommunikation beeinflussten. Die Suche nach adäquaten Begriffen stellt jedenfalls eine Herausforderung für künftige Forschungen in diesem Bereich dar.

Am Abend lud CLEMENS WISCHERMANN (Konstanz) zu seinem Abschiedsvortrag „Menschen, Tiere, Anekdoten. BeziehungsGeschichte(n)“. Im ersten Teil seiner Ausführungen thematisierte Wischermann die Verflüssigung der Mensch-Tier-Grenzen. Fähigkeiten, die lange als Alleinstellungsmerkmal des Menschen galten, seien zunehmend auch bei anderen Tieren entdeckt worden, etwa Sprache, „Denken“, der Gebrauch von Werkzeugen, Gefühle, Schmerzen und eine Lebensgeschichte, die sich stark auf das weitere Verhalten auswirke. So würden die Kategorien, die einst für eine klare Unterscheidung zwischen Mensch und Tier dienten, durch die moderne Forschung zunehmend in Frage gestellt. Danach thematisierte Wischermann verschiedene Zugänge und Konzepte einer „Animate History“, als deren kleinsten Bauteil er Anekdoten respektive Episoden beschrieb. Im dritten Teil seiner Ausführungen stellte er einen Quellenband zu Tier-Mensch-Geschichten vor, der in Zusammenarbeit mit Studierenden entstanden ist. Anhand von drei ausgewählten Quellen verdeutlichte Wischermann die wechselseitige Beeinflussung von Tieren und Menschen. Seit dem 20. Jahrhundert werde eine emotionale Radikalisierung der Sorge um Tiere, zu denen Menschen eine emotionale Bindung haben, sichtbar – während Massentötungen von Nutztieren aus der Gesellschaft outgesourct würden. Tiergeschichte könne letztlich nicht losgelöst von der menschlichen Betrachterperspektive geschrieben werden; sichtbar würden für Historiker vor allem die Beziehungen, an denen Tiere teilhätten.

Der zweite Tag des Workshops wurde über das Konzept der Ko-Evolution diskutiert. Eröffnet wurde die Sektion mit einem Input des Wissenschaftshistorikers AXEL HÜNTELMANN (Mainz) zu Menschen und Mäusen im Setting von Versuchslaboren. Hüntelmann stellte eingangs fest, dass das enge Zusammenleben beide Seiten veränderte: das Leben der Versuchstiere und das Verhalten der Wissenschaftler respektive die Bedingungen der Wissensgewinnung. So würden die Mäuse im Labor gezielt humanisiert, indem man sie darauf hin züchtet, menschlichen Krebs zu entwickeln. Die Versuchsdesigns würden aber wiederum den Eigenschaften und Lebensverläufen der Versuchstiere angepasst. Je nach Perspektive könne dies als Anpassung, Bio-Engineering oder Ko-Evolution gedeutet werden. Für die Ko-Evolution spreche, dass der Mensch die Maus durch Züchtung verändere, während die aus den Versuchen gewonnenen Einsichten wiederum Rückwirkungen auf das Leben von Menschen hätten. Für eine reine Domestizierung spreche dagegen die krasse Asymmetrie der Beziehung, indem das Leben der Versuchstiere von der Geburt bis zum meist vorzeitig herbeigeführten Tod zwecks Standardisierung durchgehend überwacht und kontrolliert werde. Die im Labor gezüchteten und handzahm erzogenen Tiere hätten außerhalb des Labors keine Überlebenschance mehr.

In der folgenden, von ALINE STEINBRECHER (Konstanz) eingeleiteten und moderierten Diskussion wurde festgestellt, dass zurzeit verschiedene Konzepte der Ko-Evolution relativ unvermittelt nebeneinander stünden. Es gelte also, genauer zu definieren, was Ko-Evolution in der Tiergeschichte heißen solle. Wenn das Konzept in einem weiten Sinne, wie etwa von Edmund Russell vertreten, alle wechselseitigen Beeinflussungen von Tieren auf menschliche Gesellschaften und umgekehrt untersuche und dabei körperliche, verhaltensbezogene und kulturelle Veränderungen gleichermaßen einbeziehe, werde das Konzept zwar sehr anschlussfähig, drohe aber auch an Spezifität einzubüßen. Allenfalls tauge das Konzept als übergreifende Perspektive, unter dem sich mannigfache Beziehungsgeschichten bündeln ließen und das potentiell auch Grundlagen für einen Dialog mit der Evolutionsbiologie schaffe. Konsens herrschte grundsätzlich darüber, dass das Konzept dem einseitigen Begriff der Domestikation vorzuziehen sei, wobei aber angemahnt wurde, die evidenten Asymmetrien zwischen Menschen und Tieren nicht aus dem Blick zu verlieren. Jedenfalls rege das Konzept dazu an, von einer rein anthropozentrischen Perspektive auf die Weltgeschichte Abstand zu gewinnen und die Menschen ein Stück weit zu „provinzialisieren“, wie in Anlehnung an ein Konzept der Postcolonial Studies zugespitzt bemerkt wurde.

Zum Abschluss des Workshops stellte der Biologe MARDAS DANESHIAN (Konstanz) schließlich die Aktivitäten des in Konstanz angesiedelten „Center for Alternatives to Animal Testing Europe“ (CAAT) vor. Gegenwärtig würden massenhaft Tierversuche in der Medikamentenentwicklung, der Verbesserung chirurgischer Techniken, der Verfahrensanalyse, der Qualitätssicherung und der Sicherheitsüberprüfung von Medikamenten durchgeführt, was nicht nur ethische, sondern auch wissenschaftliche Fragen aufwerfe. Von den Reaktionen, die Mäuse auf Medikamente zeigten, könne etwa nur bedingt auf menschliche Reaktionen geschlossen werden, wie neuere Vergleichstests zeigten. Das CAAT versuche dagegen, verschiedene Akteure aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft miteinander zu vernetzen, um Versuchsmethoden zu entwickeln, die zuverlässiger seien und weniger Tiere benötigten. Dazu gehörten etwa Versuche zur Vermehrung von Stammzellen und „Human-Body-on-a-Chip“-Computersimulationen. Die am Vormittag erörterte Geschichte der Labormäuse könnte somit möglicherweise in absehbarer Zukunft wieder ein Ende nehmen.

Konferenzübersicht:

Nadir Weber (Konstanz): Begrüßung und Einführung

Temporalität und Periodisierung
Moderation: Clemens Wischermann (Konstanz)
Input: Valeska Becker (Münster)

Interspezifische Kommunikation
Moderation: Nadir Weber (Konstanz)
Input: Patricia Jäggi (Luzern)

Menschen, Tiere, Anekdoten: BeziehungsGeschichte(n)
Vortrag: Clemens Wischermann (Konstanz)

Co-Evolution
Moderation: Aline Steinbrecher (Konstanz)
Input: Axel Hüntelmann (Mainz)

Offenes Plenum: Perspektiven der Geschichte der Mensch-Tier Beziehung

Mardas Daneshian (Konstanz): Vorstellung des Center for Alternatives to Animal Testing